"Die angepaßte Universität"

 Ramin Rowghani

 

"Eine Wissenschaft, die in eingebildeter  Selbständigkeit die Gestaltung der Praxis , der sie dient und zugehört,

bloß als ihr Jenseits betrachtet und sich bei der Trennung  von Denken und Handeln bescheidet,

hat auf die Humanität schon verzichtet"

 

(Horkheimer, M., zit. n. Leibfried, St.: Die angepaßte Universität,

zur Situation der Hochschulen in der Bundesrepublik und den USA, Ffm 1968)

 

Merkmale einer Universität gibt es viele, mindestens so viele, wie es Jahre gibt, in welchen Universitäten überhaupt existieren.  Leibfried ( vgl. 1967) befaßte sich in seinem Handbuch "Wider die Untertanenfabrik" , `Handbuch zur Demokratisierung der Hochschule`  mit dem Mißbehagen vieler Studenten  und dem Zweifel am Elfenbeinturm. Es stellt sich dabei die Frage, ob für eine Großzahl von Wissenschaftlern die Wissenschaft im Vordergrund steht oder ihre Eitelkeit.  Der Berliner Heil- und Sozialpädagoge Prof. Dr. Klaus Weinschenk verwies auf den professoralen Hochmut: "Wenn Du was von Professoren willst, appelliere an deren Eitelkeit, damit kriegst Du sie alle!" 

 

 Die Bildungsphilosophin Margherita v. Brentano (FU-Berlin) mahnte seit Jahrzehnten zu Hochschulreformen, meinte damals damit natürlich noch nicht das Elend des an Europa angepaßten Bachelor- und Mastersystems des unglücklichen Bologna-Prozesses, welchen der Ausnahmewissenschaftler im Bereich der Bildungssoziologie Prof. Dr. Jürgen Raschert in seinen legendären Vorlesungen und Seminaren stets scharf kritisiert hatte, er war langjähriger Direktor des    Instituts für Theorie der Schule, Bildungspolitik, Geschichte, Organisation und Verwaltung  des Bildungssystems    an der Freien Universität Berlin. Es ist bezeichnend, daß nach dem Tod von Jürgen Raschert das Institut verwaist ist.  Brentano hätte viel lieber ein deutsches Hochschulsystem gesehen, das die Mischung einer konservativ-reformatorischen Tendenz zeigt, welches der Göttinger Professor Heimpel als "Bewahren und Ergänzen" bezeichnet hatte. Gezielte Berufsausbildung und gesellschaftlich relevante Aspekte kommen bis heute im Hochschulwesen zu kurz und die Universität soll als Ort der Möglichkeit zur inneren Entwicklung dienen, um vernünftige Entscheidungen im Erwachsenenleben in der Wohlstandsgesellschaft zu treffen.

 

Fast 50 Jahre danach hat sich außer der Herabwürdigung der deutschen Hochschulen und der freien Lehre durch den Bologna-Prozeß hinsichtlich bildungssoziologischen Ansprüchen fast gar nichts nach vorne bewegt. Die Restauration der humanistisch-idealistischen Universitätsidee des 19. Jahrhunderts als Begriff von akademischer Bildung wurde selten zur zweckfreien Bildungsstätte für eine freie Forschung verwirklicht. Dem Individuum sollte doch eine charakterformende geistig-sittliche Bildung zuteil werden.

 

Wie die Kultusministerkonferenz zur Studienreform in den 60er Jahren  beschlossen hatte, war das Hochschulstudium ein echtes Leistungsstudium, welches mit Zwischenprüfungen zur Qualitätsauslese führt. Wie viele Studenten und besonders schwangere Studentinnen fallen durchs Raster und schaffen es zeitlebens nicht, Ihren Universitätsabschluß zu erbringen, oft bleiben sie ewig ungelernt und Studienabbrecher mit beträchtlichen psychologischen Folgen. 

 

Mit dem Studienbeginn, einem in Deutschland wohl einmaligen El-Dorado,  ist der Zeitpunk des Studienendes täglich gegenwärtig, zumindest der Wunsch des Ziels: die Abschlußprüfungen beinahe täglich gegenwärtig. Der Sozialisationsprozeß hat nicht nur das denkende Individuum zum Endzweck, sondern auch ein Mitgliedsein in der akademischen Lebensgemeinschaft. Horkheimer:  "Nichts macht einen Menschen verdächtiger als sein Mangel an innerer Übereinstimmung mit dem Leben, wie es nun einmal ist." (vgl. Egoismus und Freiheitsbewegung, in: Zeitschrift für Sozialforschung IV/2, S. 160, 1936)

 

Die „angepaßte Universität“ ist nur ein Ausdruck der Geschichte dieser Gesellschaft (vgl. Leibfried 1968, S.55), heute mehr denn je durch das unfreie Studieren und die neurotische Anpassung an Europa mit dem Bachelor- und Master-Wahn, der nun keinerlei wissenschaftliche Spielräume mehr zuläßt. Die Hochschulrektoren, die sich dem europäischen Zeitgeist nicht angepaßt hatten, wurden von den Kultusministern geschnitten, ihre Hochschulen gelangen ins Abseits, letztendlich zogen sie alle nach. Geblieben ist gerade in den Geistes- und Sozialwissenschaften ein Scherbenhaufen von freiem Studieren. Humboldt würde sich im Grab umdrehen, wenn er mitbekäme, was aus seinem genialen Bildungsgedanken geworden ist. Der Studierende sollte durch den Umgang mit Wissenschaft erfahren, was wissenschaftliche Erkenntnis ist und zu leisten vermag. Durch starre reglementierte Strukturen hat der Student zu lernen  u n d  zu vergessen gelernt. Der Hochschulapparat nach Bologna sieht nur noch die Werkzeuge, nicht mehr die großen Ziele der Geistesbildung, denen jene eigentlich dienen.

 

 RR.

 


Studienforum / Wissenschaftlicher Austausch

Kommentare: 2
  • #2

    Ralf Gerten, M.A. (kein Master, aber der gute Magister) (Freitag, 09 Juni 2017 17:26)

    Leibfrieds "Angepasste Universität" ist schon eindrucksvoll und wissenschaftsgeschichtlich viel zu selten beachtet.
    Wir sehen nicht nur bei Jürgen Raschert und Ramin Rowghani, dass Bologna mit Master und B.A. in Deutschland zumindes ein Flop ist.
    Die kritischen Stimmen nehmen weiter zu.
    Insofern sind solche freien wissenschaftlichen Institutionen wertvoller für Typ gerechte Schwerpunktstudien und das weitblickende Studieren als das gymnasiale Mittelstufen-Niveau des heutigen B.A. und die lächerlich rangehängten Mastersemester! Hoch lebe der Magister und das Diplom!

  • #1

    politicus (Samstag, 12 Dezember 2015 07:46)

    Tatsächlich gibt es massive Kritikpunkte am Bologna-Prozess! Kritik an der Einführung der B.A. - und Master-Studiengänge. Was waren doch Magister- und Diplom-Studiengänge in Deutschland Jahrhundertelang bewährt, erprobt und sinnvoll zusammengesetzt! Die Anpassung an Europa ist so überflüssig wie ein Kropf!
    Will man denn in der Wissenschaft WIRKLICH durch die kurzen, straffen, verschulten B.A.- und M.A. (Master-Studiengänge) nur eine ERWEITERUNG der gymnasialen Oberstufe des Gymnasiums bzw. der Gesamtschulen akzeptieren?

    DAS HAT NICHTS MEHR MIT FREIER WISSENSCHAFT ZU TUN!

Corripe sapientem et amabit te.   -  Tadle den Weisen, und er wird dich lieben. (Augustinus)


Felix qui potuit rerum cognoscere causas  

 

 

Gemäß dem Vergilschen Motto bietet die Augustinus-Akademie ein Studienforum zur geistigen Neuorientierung, Vertiefung eigener Schwerpunkte und Erweiterung und Ergänzung vorhandener (Er-)Kenntnisse.  Viele Gelehrte sind angefüllt mit einer selbst erarbeiteten Wissenschaft, oft erweisen sie sich aber als ungeeignet, durch ihr Wissen einen besonderen Eindruck auf die Mitmenschen zu machen, also ihr Wissen adäquat weiterzugeben. Selbst Kult-Wissenschaftler Albert Einstein gehörte zu solchen. Als lehrender Professor an  der Vorgängeruni der Humboldt-Universität versagte er komplett. Es gibt nicht wenige Gelehrte, die ihr geistiges Werk für sich behalten oder es nur im kleinen Kreis präsentieren, sie gelten als "Privatgelehrte". Andere drängt es zur Arbeit am Schreibtisch und späteren Publikationen, von denen sich hier durch kleine oder größere wissenschaftliche Aufsätze einige wiederfinden. Im wissenschaftlichen Austausch kann es es anstehen, die Rede- und Lehrkunst zu erlernen. Vom stillen Leser und Lerner entwickelt man sich zum sozial denkenden Wissenschaftler, der in der Studiengruppe seine Position hat, Wissen weitergibt und annimmt. 

 

Ästhetik-Professor Bazon Brock findet eine ganz eigene Definition von "Akademie":

 

"Die Akademie ist der Versuch, eine Gemeinschaft zu bilden, die dem Academus entspricht, eine Akademie ist ein Zusammenschluß von Menschen, die sich in anstrengenden Zeiten, vornehmlich in Zeiten des Analphabetismus und der allgemeinen Zerstreuung durch kriegerische oder sonstige evolutionäre Prozesse wechselseitig garantieren, daß das, was sie tun, sinnvoll ist. Wir schreiben, wir malen, wir musizieren, wir komponieren und spielen Theater.

 

D.h. eine Akademie wäre ein Zusammenschluß von Menschen, die sich als Schreiber garantieren, daß das Schreiben einen Sinn hat, weil es Leute gibt, die es lesen: nämlich alle anderen Mitglieder der akademischen Gemeinschaft, denn das ist sehr sinnvoll, wenn wir zur Gemeinschaft des akademischen Typs gehören; dann übernehmen wir die Verantwortung dafür, daß Schreiben, Musizieren, Malen sinnvoll von den Malern, Schreibern, Komponisten betrieben werden kann, weil es Leute gibt, die lesen, betrachten, die zuhören und zwar wirklich auf der Ebene der Gleichwertigkeit  des Rezipienten zum Produzenten.

 

 Das hat eine sehr mäßigende und erzieherische Maßnahme, nämlich wenn wir 100 Akademiker in einer  Gemeinschaft hätten, dann könnte jeder Schreiber, um eine Seite zu publizieren nur die Möglichkeit, gelesen zu werden, einklagen, indem er 99 Seiten seiner Kollegen liest.

 

Es ist nur derjenige "Maler", der würdigt, was andere gemalt haben, sonst ist es sinnlos, Maler zu sein. Also sind Akademien heute dringender als je zuvor, Zusammenschlüsse von Leuten, die die Sinnhaftigkeit ihres eigenen Tuns in aller gutsinnigsten Weise begründet haben möchten: diejenige Vergesellschaftung, in der man sich gegenseitig Sinnhaftigkeit garantiert."

 

                     Prof. Dr. Bazon Brock: Kunst als unabdingbare Kritik an der Wahrheit, Vortrag vom 29. Januar 2014

                                                                                                  Bazon Brock ist Rektor der DENKEREI in Berlin SO36