Geisteswissenschaftliche Fakultät

Jürgen-Raschert-Gedenk-Institut

Den Westberliner Erziehungstheoretikern, Bildungssoziologen, Pädagogen, Lehrern und Psychologen der 70er, 80er,  90er Jahre  bis hin zum Jahr 2012 wird Prof. Dr. rer. pol. Jürgen Raschert, zunächst junger Dozent an der legendären Pädagogischen Hochschule (PH) in Berlin-Lankwitz, deren überhastete Schließung bildungssoziologisch heute rückblickend als Fehler eingestuft werden muß,   und später Hochschullehrer an der Freien Universität Berlin, nicht nur ein Begriff sein, sondern in reger Erinnerung bleiben als ein Ausnahmewissenschaftler von ganz eigenem Format, der wie kaum ein anderer auf Äußerlichkeiten wenig wert gelegt hatte, umso mehr auf die Exaktheit eines wissenschaftlichen Denkens, Lehrens und Arbeitens.

 

Als ich schon lange die Universität verlassen hatte und im pädagogisch-psychologischen Sektor gearbeitet  hatte (, was bis heute anhält,) war ich gestärkt, nicht zuletzt durch die wissenschaftliche Schulung von Jürgen Raschert. So bin ich noch, wenn der Dienst mir Zeit dazu genehmigte, in seine Seminare gegangen, praktisch zum Auffrischen und Fortbilden, ich hörte seine "Konvergenzen und Divergenzen im Europäischen Bildungssystem" oder seine Max-Weber-Wissenschaftstheorie und durfte noch einen freiwillig mit über 70 lehrenden Vollblut-Professor erleben, der körperlich angeschlagen, doch geistig hellwach sich mit dem aktuellen Bildungssystem, den Prinzipien der Lehrenden  und die Voraussetzungen der Lernenden auseinander zu setzen vermochte. "Ein wandelndes Lexikon" nannte ihn eine Studentin, die die letzte Staatsprüfung für Lehrer noch bei Prof. Raschert abgelegt hatte. Auch die Prüfungssituation war eine ganz besondere bei ihm, sie war ein echter wissenschaftlicher Disput mit höchsten intellektuellen Ansprüchen und sie war ebenso geprägt von wohlwollender Güte. Ich durfte in seinem allerletzten Seminar die Abschlußlaudatio halten und Raschert munterte mich auf, dieses Wissenschaftsforum zu gründen und er willigte mit Freude ein, Ihr 1. Präsident zu sein. Als der Protestant Raschert vom Namensgeber Augustinus hörte, war er skeptisch, ob es sich um eine theologische Einrichtung handele, dazu meinte er schmunzelnd:    "Ich hatte noch bei Gollwitzer gehört, wer bei Gollwitzer hörte, wurde zum Ungläubigen!" 

Als wir geklärt hatten, daß es sich um ein allgemeines Wissenschaftsforum handelte, in dem jeder seinen Austausch finden soll, war er sofort dabei.  Die Pädagogik, Bildungswissenschaft, Bildungspolitik, Soziologie und Psychologie lagen ihm dabei auch wieder besonders am Herzen.

 

Prof. Dr. Jürgen Raschert war ein Mann der einsamen Wissenschaft genauso wie ein Mensch des geselligen Lebens. Er liebte den Wein nicht nur in den Campus-Restaurants Dahlems und im Sommer sogar das Bier, das er erst spät schätzen gelernt hatte als geselliges Instrument.  Die Dahlemer Studenten- und Professorenkneipen  "Luise", "Der alte Steinkrug/ Altensteiner Krug" und "Der Alte Dorfkrug" im Umfeld der FU  gehörten zu den Orten seiner wissenschaftlichen Geselligkeit. Nach beinahe jedem Lehrtag an der Freien Universität begab sich Jürgen Raschert in eine dieser Gastwirtschaften. Im Sommer im Garten draußen, im Winter innen saß er mit Professoren-Kollegen, Assistenten und Sekretärinnen. Seine größte Freude war der Ausstausch mit seinen Studenten und Absolventen, da lief er zu Hochform auf und ließ sich durchaus auch hochleben. Professor Raschert hielt Hof. Bei solchen zahlreichen Treffen bereiteten wir die Augustinus-Akademie als Wissenschaftsforum, Haus der Bildung und Fortbildung vor. Der überraschende Tod riß uns aus der gemeinsamen Arbeit heraus. Jürgen Raschert ist diese "Geisteswissenschaftliche Fakultät" als "Jürgen-Raschert-Gedenk-Institut" gewidmet, seine Wissenschaftstheorien und sein Geist sind überall spürbar. 

Ohne seine motivationalen Aktionen und seine außergewöhnliche professorale Energie gäbe es die Akademie nicht. So wollen wir in seinem Sinne das beste daraus machen. 

 

Amicitiae immortales, mortales inimicitiae esse debent.
Livius (auc 40,46,12)

Ramin Rowghani

Prof. Dr. Jürgen Raschert 

am letzten Tag seiner

Lehrtätigkeit an der FU-Berlin

Lehramtsstudentin klärt mit

Jürgen Raschert letzte

Fragen zur Staatsprüfung ab

 

 

Das wichtigste für die Studenten am Ende

 des Semesters neben dem Wissenserwerb:  

 

die Scheinvergabe

Scheinvergabe und Abklären der Prüfungsfragen durch Prof. Dr. Jürgen Raschert

(Fotos (c) R. Rowghani)

 

Kommentare: 4
  • #4

    Georg (Sonntag, 03 März 2019 04:54)

    Dass dem Pädagogen und Soziologen Jürgen Raschert hier ein Denkmal gesetzt wurde, freut einen ehemaligen Absolventen sehr. Die FU unter den Präsidenten Prof. Dieter Lenzen und Prof. Peter-Andre´ Alt haben ihn zum ende nicht genug gewürdigt.
    Zwischen den Erziehungswissenschaftlern Dieter Lenzen und Jürgen Raschert am Fachbereich 12 herrschte ohnehin immer ein Konkurrenzdenken. Ich weiß, wie Prof. Raschert kritisiert hatte, daß Dieter Lenzen viel zu schnell, als einer der ersten das fragwürdige B.A.- und Master-System in der FU durchgepeitscht hatte. Außerdem waren die beiden Pädagogen völlig unterschiedlich vom Typ her.
    Es freu mich auch sehr, dass es auch endlich Fotos im Internet von Jürgen Raschert gibt, die ihn hier so typisch zeigen. Er prägte die EWI-und Lehrer-Studis eigentlich wie kein zweiter.

  • #3

    Dillenberger, Christiane (Freitag, 19 August 2016 18:43)

    Sehr geehrte Damen und Herren,

    ich war studentische Hilfskraft von Herrn Prof. Dr. Jürgen Raschert am Institut für
    Sozialisationn der Erziehung, Fu Berlin von 1994- 1999, damals noch: Christiane Dürk.
    Dass Herr Raschert ein äußerst gütiger und sehr feinsinniger Mensch war, kann ich nur bestätigen. Wir haben sehr viel zusammen unternommen und immer herzlichst miteinander gelacht. Er war und ist einer der wichtigsten und einflussreichsten Menschen meines Lebens und ich empfinde es als große Ehre mit und für ihn gearbeitet haben zu dürfen.
    Ich möchte mich gerne, auch wenn ich weit weg von Berlin lebe, in irgendeiner Form am Jürgen-Raschert- Gedenk-Institut engagieren. Ich bin Studienrätin am Landeskunstgymnasium in Rheinland Pfalz und Beraterin, Mitautorin und Referentin für die Lines (Englischbücher) des Klett Verlages.
    Meine Kontaktdaten: 0176/64341490
    chrisduerk@gmail.com

    Mit den besten Grüßen


    Christiane Dillenberger

  • #2

    Ralf Reberg (Montag, 07 März 2016 13:34)

    Jürgen Raschert war ein Ausnahme-Professor! Merkwürdig, dass er im Netz nicht öfters verzeichnet ist. Hat vielleicht zu tun damit, dass er zu Technik-feindlich war.
    Das Internet war ihm ein Graus, auch andere technische Geräte wie Handy verabscheute Prof. Raschert. Schön, dass Jürgen Raschert mit dieser Akademie gewürdigt wird. Weiß zufällig jemand, woran er so früh verstorben ist? Die FU wird seines gleichen suchen müssen. Viel Erfolg mit der Augustinus Akademie.

  • #1

    Sigrid Kerner (Donnerstag, 18 Februar 2016 02:36)

    Dass meinem damaligen sehr verehrten Professor mit der Gründung der Augustinus Academy im Jürgen-Raschert-Institut durch die Bemühungen seines damaligen Absolventen Herrn Rowghani ein solches Denkmal gesetzt wurde, ist sehr zu begrüßen und erfüllt mit Freude. Schon der Tagesspiegel hatte Raschert mit einem - zwar nicht in allem getroffenen - Nachruf gewürdigt. Denn zu Lebzeiten war Prof. Raschert zwar in der Studentenschaft der Pädagogen u. Psychologen hoch anerkannt und in der Kollegenschaft angesehen, wenn auch nicht immer sehr beliebt, weil er doch sehr eigensinnig war, aber ausgiebig gewürdigt wurde er eigentlich nicht. Das erfolgte nun hier. In diesem Sinne viel Erfolg mit diesem Wissenschaftsforum.

Sed mihi quisquam non videtur errare, cum aliquid nescire se scit, sed cum se putat scire, quod nescit.  -   Mir scheint niemand zu irren, wenn er weiß, daß er etwas nicht weiß, wohl aber, wenn er zu wissen glaubt, was er nicht weiß.   (Augustinus, Epistulae 199, 52)

Felix qui potuit rerum cognoscere causas  

 

 

Gemäß dem Vergilschen Motto bietet die Augustinus-Akademie ein Studienforum zur geistigen Neuorientierung, Vertiefung eigener Schwerpunkte und Erweiterung und Ergänzung vorhandener (Er-)Kenntnisse.  Viele Gelehrte sind angefüllt mit einer selbst erarbeiteten Wissenschaft, oft erweisen sie sich aber als ungeeignet, durch ihr Wissen einen besonderen Eindruck auf die Mitmenschen zu machen, also ihr Wissen adäquat weiterzugeben. Selbst Kult-Wissenschaftler Albert Einstein gehörte zu solchen. Als lehrender Professor an  der Vorgängeruni der Humboldt-Universität versagte er komplett. Es gibt nicht wenige Gelehrte, die ihr geistiges Werk für sich behalten oder es nur im kleinen Kreis präsentieren, sie gelten als "Privatgelehrte". Andere drängt es zur Arbeit am Schreibtisch und späteren Publikationen, von denen sich hier durch kleine oder größere wissenschaftliche Aufsätze einige wiederfinden. Im wissenschaftlichen Austausch kann es es anstehen, die Rede- und Lehrkunst zu erlernen. Vom stillen Leser und Lerner entwickelt man sich zum sozial denkenden Wissenschaftler, der in der Studiengruppe seine Position hat, Wissen weitergibt und annimmt. 

 

Ästhetik-Professor Bazon Brock findet eine ganz eigene Definition von "Akademie":

 

"Die Akademie ist der Versuch, eine Gemeinschaft zu bilden, die dem Academus entspricht, eine Akademie ist ein Zusammenschluß von Menschen, die sich in anstrengenden Zeiten, vornehmlich in Zeiten des Analphabetismus und der allgemeinen Zerstreuung durch kriegerische oder sonstige evolutionäre Prozesse wechselseitig garantieren, daß das, was sie tun, sinnvoll ist. Wir schreiben, wir malen, wir musizieren, wir komponieren und spielen Theater.

 

D.h. eine Akademie wäre ein Zusammenschluß von Menschen, die sich als Schreiber garantieren, daß das Schreiben einen Sinn hat, weil es Leute gibt, die es lesen: nämlich alle anderen Mitglieder der akademischen Gemeinschaft, denn das ist sehr sinnvoll, wenn wir zur Gemeinschaft des akademischen Typs gehören; dann übernehmen wir die Verantwortung dafür, daß Schreiben, Musizieren, Malen sinnvoll von den Malern, Schreibern, Komponisten betrieben werden kann, weil es Leute gibt, die lesen, betrachten, die zuhören und zwar wirklich auf der Ebene der Gleichwertigkeit  des Rezipienten zum Produzenten.

 

 Das hat eine sehr mäßigende und erzieherische Maßnahme, nämlich wenn wir 100 Akademiker in einer  Gemeinschaft hätten, dann könnte jeder Schreiber, um eine Seite zu publizieren nur die Möglichkeit, gelesen zu werden, einklagen, indem er 99 Seiten seiner Kollegen liest.

 

Es ist nur derjenige "Maler", der würdigt, was andere gemalt haben, sonst ist es sinnlos, Maler zu sein. Also sind Akademien heute dringender als je zuvor, Zusammenschlüsse von Leuten, die die Sinnhaftigkeit ihres eigenen Tuns in aller gutsinnigsten Weise begründet haben möchten: diejenige Vergesellschaftung, in der man sich gegenseitig Sinnhaftigkeit garantiert."

 

                     Prof. Dr. Bazon Brock: Kunst als unabdingbare Kritik an der Wahrheit, Vortrag vom 29. Januar 2014

                                                                                                  Bazon Brock ist Rektor der DENKEREI in Berlin SO36